Achtung: Abrechnung! Ausgemachte USA-Fans müssen ihre Meinung eventuell überdenken oder lieber nicht weiterlesen.

America – the land of the free and home of the brave! Frei und mutig, so sehen sich die Amis gerne selber. Und zumindest die Freiheit ist einer der großen Gründe, warum so viele Menschen in die USA auswandern wollen. Aber sind die Amerikaner denn wirklich frei? Oder wenigstens freier als Andere? Man kennt ja die schrägen, aber tatsächlich existierenden Gesetze, bei denen man sich immer fragt, wie um alles in der Welt so ein unsinniges Gesetz zustande gekommen ist. Einige Beispiele zur allgemeinen Erheiterung: In Hastings (Nebraska) müssen Ehepaare beim Sex Nachthemden tragen, in Oklahoma dürfen auf dem Rücksitz eines Autos keine Papiertaschentücher liegen, in St. Louis (Missouri) darf die Feuerwehr Frauen nur dann aus brennenden Häusern retten, wenn sie vollständig bekleidet sind und in Maine wird man bestraft, wenn man seine Weihnachtsdekoration bis zum 14. Januar nicht entfernt hat… Sag mal, geht’s noch? Aber diese Kuriositäten gehören eher in die Kategorie: Die Polizei wird schon Wichtigeres zu tun haben, als sich ernsthaft darum zu kümmern. Oder?

Hat sie sicher, dennoch scheint der Ami von nebenan der Meinung zu sein, seine Nachbarn/Mitmenschen zu besseren US-Bürgern erziehen zu müssen und ich spreche hier leider nicht von gut gemeinten Ratschlägen. In unserem Mietvertrag ist z.B. festgehalten, dass in diesem Haus kein Marihuana in welcher Form auch immer konsumiert werden darf, das beinhaltet auch den aus medizinischen Gründen verordneten Konsum. Und ich hatte neulich eine Begegnung der dritten Art mit der Nachbarin, die zwei Häuser weiter lebt. Sie stand auf einmal (in Hausanzug und Duschhaube!!!) in meiner Garage, war also ohne Erlaubnis auf unser Grundstück gekommen, schlimmer, hatte quasi das Haus betreten, was in Florida schon recht gefährlich ist, man weiß ja nie, welcher verrückte Waffenfreak auf Eindringlinge schießt… Damit musste sie bei mir nun nicht rechnen, aber sie war dieses Wagnis eingegangen, um mir damit zu drohen, die CPS (Child-Protective-Services, also sozusagen das Jugendamt) zu rufen, sollte sie meine Kinder noch einmal alleine auf unserer Straße spielen sehen. Selbstverständlich wolle sie mir damit nichts unterstellen und sie handele auch nur aus Sorge um das Wohlergehen meiner Kinder, aber beim nächsten Mal wäre es dann soweit. Erklärungen meinerseits waren unerwünscht, schnell wurde der Rückzug angetreten. Sag mal, geht’s noch?

Kleiner Einschub für alle, die eventuell entrüstet aufschreien: Ja, ich lasse meine Kinder alleine draußen spielen und ja, sie dürfen auch auf der Straße spielen. Allerdings ist unsere Straße eine Sackgasse, es gibt klare Regeln, an die sie sich beide halten und sie sind nie lange alleine. ABER, ich bin fest überzeugt, dass es wichtig für Kinder ist, nicht dauerhaft unter elterlicher Beobachtung zu sein, sondern Phasen zu haben, in denen sie sich ausprobieren können und eventuell entstehende Konflikte untereinander klären müssen, um irgendwann selbstständig sein zu können.

Die Amis sehen das offensichtlich anders. Da kommt nun diese Frau daher und droht mir. Und bedauerlicherweise kann ich diesen Besuch nicht in dieselbe Schublade stecken wie oben genannte Kuriositäten. Nein, im Gegenteil, ich nehme das sehr ernst. Die Amis verklagen sich ja gefühlt ständig wegen irgendeinem Sch***, (bei jeder (!) Unternehmung muss ein seitenlanger Vertrag unterschrieben werden, der alles und jeden von sämtlichen Dingen, die meinen Kindern eventuell zustoßen könnten, freisprechen) da werde ich das sicher nicht auf die leichte Schulter nehmen. Durch unseren direkten Nachbarn haben wir erfahren, dass mit der Frau tatsächlich nicht zu spaßen ist, sie war immerhin schon im Gefängnis, weil sie ihre eigene Mutter verprügelt hat. Sag mal, geht’s noch? Was will so eine mir denn überhaupt über Kindererziehung erzählen?

Richard war so wütend, als er davon erfuhr und wollte sie sofort zur Rede stellen, aber ich konnte ihn davon abhalten. Sie zu reizen, würde ja wohl erst recht zu Problemen führen. Und schon bin ich absolut unfrei! Wann immer wir vor die Tür gehen, wandern Blicke zum Nachbarhaus. Auch von anderen Nachbarn fühle ich mich mittlerweile beobachtet und weiß nicht mehr, ob freundlich oder argwöhnisch – und haben wir nicht an Halloween mitbekommen, dass mich einige unserer Nachbarn “crazy lady” nennen? Tja, da ist sie, die Angst und ich sage mir: Bloß keinen Wind machen, schön stillhalten. Ist ja nicht so meine Sache, aber meine Kinder sind es mir allemal wert. Also sind auch die letzten freien Minuten für mich oder meine Kinder dahin, im land of the free!

Und damit bin ich nicht allein. Ich habe erstmal das Internet durchforstet nach Erfahrungen anderer Eltern, die durch Nachbarn Probleme mit den CPS bekommen haben. Und Leute, mir schlackern die Ohren! Da arbeiten scheinbar vornehmlich Sadisten und weltfremde Kinderhasser. Eine Mutter verschlief, ihr 8-jähriger Sohn machte sich alleine auf den Schulweg, die Polizei sah ihn und verhaftete sie. Weil sie ihren Sohn willentlich in Gefahr brachte, drohte man ihr mit bis zu 10 Jahren Haft, gegen eine Kaution von $2500 wurde sie frei gelassen, hat seitdem aber panische Angst davor, nochmal zu verschlafen. Einer weiteren Mutter wurde vom CPS dringend dazu geraten, ihr Kind nur noch drinnen spielen zu lassen. Eine Nachbarin hatte sie angezeigt, weil sie ihr Kind draußen spielen ließ, dass sie es vom Küchenfenster aber immer im Blick hatte, spielte keine Rolle. Einem Vater dreier Kinder wurde untersagt, mit ihnen Zug zu fahren, da es per Gesetz verboten ist, auf mehr als zwei Kinder kann ein Erwachsener eben nicht aufpassen. Sag mal, geht’s noch?

Land of the free, home of the brave – dass ich nicht lache! Ja, aber dass ich nicht lache, liegt daran, dass es leider nicht lustig ist. Die Amis halten sich wirklich für wahnsinnig mutig und sind stolz auf ihre Freiheit. Mit einem – schon lange nicht mehr in den USA lebenden – Ami hatte ich mal eine furchtbar verstockte Diskussion über die Abschaffung des Waffengesetzes. Er regte sich furchtbar auf, dass sich nach einem Amoklauf so viele Deutsche fragten, wann denn endlich mal der Besitz von Waffen reglementiert würde und pochte ständig auf die in der Verfassung festgelegte Freiheit (so formuliert klingt es irgendwie gar nicht mehr so frei, oder?), die es jedem ermögliche, eine Waffe zu tragen. Ein einzelner waffenliebender Amerikaner würde reichen, eine Änderung zu stoppen (was übrigens einfach Blödsinn ist, selbstverständlich müssen auch hier Mehrheiten erreicht werden, aber unmöglich ist das natürlich nicht). Ich war der Ansicht, dass es in der Geschichte ja durchaus schon Verfassungsänderungen gegeben habe und ich deshalb die Hoffnung auf eine weitere nicht aufgeben mag, aber mein Gesprächspartner blieb stur. Als ob es einen Grund gäbe, auf solch eine Freiheit stolz zu sein…

Aber so sind sie, tragen ihre Waffen und Überzeugungen beim Einkaufen und auf dem Spielplatz vor sich her wie ihr Star-Spangled Banner, die Nationalhymne, die übrigens von einem üblen Rassisten geschrieben wurde, nachdem er im Krieg mit Großbritannien in einer Schlacht feige geflohen war. Land of the free, home of the brave? Sag mal, geht’s noch? Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten mit stark begrenztem Horizont sind unsere Tage auf jeden Fall gezählt. Und bis dahin hoffe ich, dass niemand mitbekommt, dass ich nackt dusche, das ist im Staate Florida nämlich per Gesetz verboten.

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