Wir werden Homeschooler, dachte ich vor knapp einem Jahr, als wir unsere Amerika-Pläne starteten, und begann mich zu informieren. In den USA besteht für Kinder zwischen 6 und 16 Jahren keine Schul- sondern lediglich eine Bildungspflicht und die kann auch auf anderem Wege als dem Schulbesuch erfüllt werden. Der am weitesten verbreitete Weg hier ist das Homeschooling. Das bedeutet, dass die Kinder zu Hause unterrichtet werden. In vielen (wohl den meisten) Fällen bedeutet es, einen sehr kurzen Schulweg zu haben, eine kleine, altersgemischte Klasse und oft auch nur eine Lehrerin, nämlich die eigene Mutter. Viele richten sich ein Klassenzimmer zu Hause ein, in dem es Schreibtische und sämtliche Materialien gibt, bei einigen sogar eine Tafel an der Wand. Und wie ich ja bereits berichtete, findet bei vielen der Unterricht nach Stundenplan auch während der “normalen” Schulzeit statt. Homeschooling ist also Schule zu Hause. Gründe hierfür sind Misstrauen in das amerikanische Schulsystem und religiöse Gründe, aber auch die Sorge, dass das eigene Kind gemobbt werden könnte oder der Wunsch auch außerhalb der Ferienzeiten reisen zu können.

Die Reiselustigen nennen ihr Bildungssystem auch Roadschooling oder Worldschooling. Kommt darauf an, wie weit man reist. Es gibt eine große Gruppe Menschen, die im Trailer leben, also im Wohnwagen. Dauernd unterwegs, on the road. Hier findet der Unterricht im Wohnwagen statt, Roadschooling eben. Der Grund, warum diese Kinder nicht zur Schule gehen, liegt auf der Hand, sie sind ständig an einem anderen Ort und müssten so ja dauernd die Schule wechseln.

Die Worldschooler betrachten die ganze Welt als ihr Klassenzimmer, sie lieben es in ferne Länder zu verreisen und meinen, ihre Kinder lernen dabei, was es fürs Leben zu lernen gibt. Das muss man sich aber auch erstmal leisten können. Hier findet wohl auch nicht der klassische Unterricht am Schreibtisch statt, sondern der Begriff Schule ist viel weiter gefasst. Eigentlich wird da gar nicht wirklich von Schule geredet, sondern eher vom Lernen.

Genauso wie bei den Unschoolern. Viele denken, dies sei nur ein anderer Name fürs Homeschooling. Es ist aber viel mehr. Es steckt eine ganz andere Einstellung zum Lernen dahinter. Unschooling bedeutet eben tatsächlich keine Schule, keine Institution, keine Lehrer, kein Stundenplan und auch kein Schreibtisch. Unschooler lassen ihre Kinder selber entscheiden, was sie wann, wo und von oder mit wem lernen wollen. Sie richten sich komplett nach den Interessen des Kindes. Wie das dann konkret aussieht, ist von Kind zu Kind unterschiedlich, absolut individuell. Ein Kind hilft der Nachbarin beim Anlegen eines Gemüsebeets und ein anderes liest wochenlang nur Comics. Die Einstellungen der Eltern sind ebenfalls extrem verschieden, z.B. beim Thema Fernsehen oder überhaupt Mediennutzung. Einige geben den Kindern da überhaupt keine Vorgaben, die Kinder haben keine Limits; Andere verbieten Fernsehen komplett, und zwischen Schwarz und Weiß gibt es ja bekanntlich noch genügend Grau.

Irgendwie dazwischen – so lässt sich auch der Weg der Lifeschooler am besten beschreiben. Lifeschooler sagen von sich selber, dass sie eine Mischung aus Homeschooling und Unschooling leben. Sie möchten sich nicht einem Begriff unterwerfen, sondern ihr Lernen und Lehren so gestalten, wie es in ihre jeweilige Lebenssituation passt und lehnen dabei auch das klassische Homeschooling nicht ab, wie es viele Freilerner tun. Ansonsten ähneln sich beide Einstellungen aber schon sehr.

Eine schöne Übersetzung für Unschooler und im Grunde ja auch Lifeschooler ist Freilerner. Mir gefällt der Begriff, wie auch das freie Lernen an sich, sehr gut. Bereits als Lehrerin fragte ich mich regelmäßig, ob es richtig sein kann, dass diese Horde völlig verschiedener junger Menschen, die da vor mir saßen, alle zur gleichen Zeit das Gleiche lernen sollen. In der IGS bekam ich als Lehrerin in einer I-Klasse (mit 9 von 18 Kindern mit speziellem Förderbedarf) dank meiner genialen Kollegin einen Eindruck davon, wie Unterrichtsstoff an besondere Bedürfnisse angepasst werden kann und muss, dennoch alle gemeinsam am Thema arbeiten und jeder etwas zu einer gemeinsamen Präsentation beitragen kann. Aber auch wo es Grenzen gibt. Dass es Themen gibt, die für Kinder mit Förderbedarf im Bereich geistige Entwicklung unerheblich sind, oder Aufgaben, die für einzelne Kinder schlicht nicht leistbar sind. Und selbstverständlich ist mir klar, dass nicht alle Themen alle Kinder gleichermaßen begeistern. Beim Freilernen ist aber genau das gegeben. Denn das freilernende Kind entscheidet ja selbst, was es machen möchte und lernt also nur das, was es wirklich interessiert. Entsprechend motiviert sollte es sich dann damit beschäftigen. Die begleitende Person ist Ansprechpartner, hilft bei der Suche nach Antworten, Materialien und darf an der spannenden Reise teilhaben. Was sie nicht haben sollte, sind Erwartungen und Ansprüche an das Kind. Und genau da liegt die größte Schwierigkeit beim Freilernen: Sich als Eltern zurückzunehmen und dem Kind zuzutrauen, diese Entscheidungen für sich treffen zu können. Und es auszuhalten, wenn sich das Kind für Beschäftigungen und Themen entscheidet, die man selber vielleicht nicht so wichtig findet oder man sich wünscht, dass das Kind zuerst etwas anderes lernt. Es kann nämlich durchaus sein, dass Kinder lesen und schreiben gar nicht so wichtig finden wie wir Erwachsenen. Also wird es nicht gelernt. Irgendwann nervt es dann, dass ständig alles vorgelesen werden muss, das kann aber auch erst mit 9 oder 10 Jahren sein oder auch noch später. Das stelle ich mir schon schwierig vor. Viele Eltern der Unschoolerszene fragen sich, wie Kinder überhaupt all das Wichtige lernen, was sie fürs Leben brauchen, wenn ihnen doch keiner sagt, was dieses Wichtige ist. Aber mal ehrlich: Kinder sind doch eigentlich von Geburt an Freilerner. Sie lernen laufen, sprechen, spielen und so viel mehr und zwar jedes Kind in seinem eigenen Tempo. Das ist doch unter Müttern das Thema, da wird nachgefragt, verglichen und doch immer wieder betont, dass ja alle Kinder verschieden sind und sie es am Ende doch alle lernen.

Warum verlässt uns dieses Vertrauen in die Fähigkeiten unserer Kinder, sobald sie 6 Jahre alt werden? Wieso dürfen Kinder die ersten Jahre ihres Lebens durch Beobachtung und Neugier lernen und danach müssen Lehrbücher her? Weshalb sollen Kinder warten müssen, um etwas zu lernen, was sie doch brennend interessiert, nur weil es noch nicht Thema im Lehrplan ist? Treiben wir ihnen so nicht ihre natürliche Neugier aus?

All das beschäftigt mich und ich möchte so gerne eine Freilerner Mama sein. Wenn ich z.B. sehe, was Joshua allein aus Hörspielen lernt. Erst neulich erklärte er uns, was eine Mole ist. Das hat er nebenbei in einer ??? Kids Geschichte aufgeschnappt. Auch beim Fernsehen lernt er, nicht zuletzt Englisch. Besuche im thinkery wird wohl jeder als Lernausflug bestätigen, ebenso wie das Spielen in der Natur, im Wald oder am Wasser. Spielen an sich ist ja schon Lernen. Ich könnte soviel aufzählen, mache daraus aber lieber mal einen eigenen Beitrag, glaube ich. Auf jeden Fall bin ich angesteckt, das Freilernen ist total mein Ding.

Wenn da nur nicht diese Sorge wäre, was dann mit Joshua passiert, wenn wir nach Deutschland zurückkehren. Wenn er hier selber entscheiden darf, was er wann lernt, wie kommt er dann damit klar, dass in Deutschland jemand anders ihm das vorschreibt? Was ist, wenn er dann nicht auf demselben Level ist wie Gleichaltrige? Muss er dann Schuljahre wiederholen? Was macht das mit seinem Selbstwertgefühl? Und wie wird es wohl finden, Tests zu schreiben? Ich fange jetzt bereits an, nach Möglichkeiten zu suchen, wie er auch zuhause weiter freilernen kann. Legal wäre schön, aber teuer. Es gibt einige wenige Privatschulen, wo das möglich ist. Bei dieser Suche bin ich auf Seiten gestoßen, die die rechtliche Grundlage für Alternativen zum Schulbesuch zeigen und ich bin erstaunt, wie viele Länder Europas Homeschooling erlauben. Deutschland ist da mit Schweden ziemlich allein auf der Verbotsspur. In Norwegen, Belgien, Österreich, Dänemark, der Schweiz, in Großbritannien, Frankreich, Irland, Italien, Spanien, Portugal und Ungarn ist Homeschooling erlaubt, z.T. sogar von der Verfassung geschützt. In einigen Ländern sind jährliche Tests vorgeschrieben, andere lassen den Eltern freie Hand. Das überrascht mich, und ich frage mich, warum es in Deutschland nicht möglich ist. Aber es eröffnet mir auch Möglichkeiten. Wer weiß schon, wohin uns diese Reise noch führen wird? Vielleicht werden wir ja noch zu Worldschoolern.

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