Die Zahl 100 ist eine feste Größe in der Politik. Nach gut drei Monaten im Amt ist die Schonfrist für Politiker vorüber. Dann müssen sie sich eine erste kritische Bilanz gefallen lassen. Wir sind heute genau 100 Tage in Austin, Texas. Und auch wenn wir kein politisches Programm für unsere Auswanderung erarbeitet haben, ziehe ich eine erste Bilanz.
Was unheimlich nervt, weil es täglich eine Rolle spielt, ist die ständige Umrechnerei. Warum können die Amerikaner nicht einfach auch das metrische System nutzen? Hier fahre ich Meilen, keine Kilometer (auch pro Stunde), trinke und tanke Gallonen oder Flüssigunzen, keine Liter, messe in Zoll oder Fuß statt Zentimeter und Meter, messe die Temperatur in Fahrenheit statt Celsius… Bis ich mich daran gewöhnt habe, bin ich schon wieder zurück in Deutschland. Beim Einkaufen nützt mir leider auch das Überschlagen wenig, weil ich im Anschluss daran auch noch die Steuern dazurechnen muss, das aber jedesmal wieder vergesse und mich an der Kasse über den ‘Mehrbetrag’ wundere. Aber im Grunde sind das ja Kleinigkeiten und Umrechner-Apps nehmen mir Manches ab.
Wir hatten natürlich Pläne und Wünsche für das Leben in den USA. Da Richard von zu Hause aus für eine deutsche Firma arbeitet, freuten wir uns darauf, dass er sich seine Zeit familienfreundlich einteilen kann. Wir freuten uns auf einen milden ‘Winter’ mit Tiefstwerten um die 15° Grad Celcius, also auch die Möglichkeit, uns ganz viel draußen aufhalten zu können, idealerweise auch im eigenen großen Garten und am und im Communitypool, der hier in vielen Stadtteilen den Bewohnern zur Verfügung steht. Ich stellte es mir relativ leicht vor, Kontakte zu anderen Familien zu knüpfen, in einer Gemeinde, auf Spielplätzen und in der Nachbarschaft. Ich dachte, das gerade Homeschooler tagsüber viel auf öffentlichen Plätzen unterwegs seien und wir so schnell Anschluss finden könnten. Gespannt war ich darauf, welche Wege wir hier tatsächlich mit dem Fahrrad zurücklegen können, denn Austin gilt als eine der fahrradfreundlichsten Städte der USA (gemessen an den Fahrradwegen). Und Angst hatte ich vor allem Krabbelgetier, das hier meine Wege kreuzen kann.
Was wurde aus unseren Wünschen?
Ein Haus haben wir, der große Garten fehlt leider. Unser Stadtteil hat auch keinen Communitypool, hier gibt es einen Pool beim Golf Club, den wir als Gäste von Mark nutzen dürfen (hoffe ich, ausprobiert haben wir das noch nicht). Und bei Mark und Diane dürfen wir auch jederzeit in den Pool.
Der Winter hier ist tatsächlich ganz gut auszuhalten. 😉 Wir waren bis Ende November noch im Pool, die ersten beiden Wochen beinah täglich. Leider änderte sich das und es wurde sogar richtig kalt. Wir hatten Minusgrade, ein ganzes Wochenende lang! Nein, im Ernst, damit hatten wir nicht gerechnet, und so ganz normal ist es wohl auch nicht in Texas, die Palmen hier haben sehr gelitten und sehen gar nicht mehr schön aus. Im Dezember und Januar war das Wetter sehr wechselhaft, auf einen kurze-Hosen-Tag folgte einer mit Jacke und Mütze und umgekehrt. Es regnete viel und wir hatten tatsächlich oft die Heizung an. Schöner als über Monate nass-kalt-grau wie in Deutschland ist es natürlich, dennoch hatten wir mehr erwartet.
Mit dem Fahrrad fahren wir zum Spielplatz, zu Mark und Diane und das wars. Leider. Es gibt keine Fahrradwege in den Vororten und die Fußwege, wenn es denn welche gibt, sind mit Briefkästen verbaut oder hören plötzlich auf. Also muss Joshua auf der Straße fahren, was bei weiteren Strecken schlicht lebensgefährlich wäre (und nicht nur für ihn). Man sieht auch eigentlich keine Fahrradfahrer, die ihr Bike als Transportmittel benutzen, sondern nur als Sportgerät z.B. auf dem Veloway (extra angelegt für Radfahrer und Inlinefahrer, Fußgänger sind verboten) oder in Parks. Aber das Rad wird erst mit dem Auto dorthin gebracht. Naja, und Downtown gibt es schon Radler, dort kann man sich auch an diversen Standorten Citybikes ausleihen. Aber das hatte ich natürlich nicht im Sinn, als ich von der Fahrradstadt Austin träumte.
Die Krabbeltiere sind furchtbar. Es gibt hier so fürchterlich eklige Käfer und Spinnen, und giftig sind die z.T. auch noch. Auf jeden Fall steht es so in der Broschüre, die wir uns über diese Tiere gekauft haben. Viele davon haben sich noch nicht gezeigt. Eine (allerdings wirklich monströs riesige) Kakerlake krabbelte nach zwei Wochen auf unserer Küchenarbeitsplatte herum, aber das war es auch schon. Draußen begegnen wir auch dem ein oder anderen Käfer, aber die Spinnen halten sich bedeckt. Das darf auch gerne so bleiben! Allerdings ist ja auch noch Winter. Wir werden schon gewarnt, dass bald die Klapperschlangen aus den Creeks gekrochen kommen. Und mir graut es vor all dem Viehzeug, das auch noch Flügel zu bieten hat. Diese großen Wespen in allen möglichen Farben sind schon beängstigend und ich fürchte mich vor den Moskitos. Die haben mich noch bis Mitte Dezember ordentlich zerstochen und das geht auch bald wieder los.
Mehr gemeinsame Familienzeit haben wir tatsächlich. Da ist zwar noch Luft nach oben, aber es ist schon toll, dass Richard hier zuhause arbeitet und nachmittags oft zur Verfügung steht und wir gemeinsam etwas unternehmen können. Joshua genießt es total, dann mal die alleinige Aufmerksamkeit von einem von uns zu haben oder dass wir alle vier zusammen sind. Und wenn ich kurz vorm Durchflippen (Wortneuschöpfung von Joshua) bin, hat Richard mir, und den Kindern natürlich, auch schon manches mal die Situation gerettet. Bisher ist das alles aber eher spontan, ich wünsche mir eigentlich, dass wir (relativ) feste Zeiten in unsere Woche einplanen können, mal sehen, was da noch machbar ist.
Was aber ganz anders läuft als ich es mir vorgestellt habe, ist der Kontakt mit anderen Kindern und Familien.
In der Nachbarschaft soll es Kinder in Joshuas Alter geben, gesehen haben wir sie noch nicht. Wahrscheinlich weil sie den ganzen Tag lang in der Schule oder Pre-School sind. Wir waren zu einem Kindergeburtstag eingeladen (als ganze Familie), der als wahres Happening gefeiert wurde, zwei Geburtstagskinder mit Familie und jeder Menge Freunden, überwiegend aus der Nachbarschaft, das war schon verrückt. Ich schätze, es waren ca. 25 Kinder da, wir kannten eins. Tja, und jetzt haben wir zwar ein paar Telefonnummern mehr, aber viele Treffen werden sich daraus wohl nicht ergeben, da die Kinder tagsüber für Verabredungen im Grunde nicht zur Verfügung stehen. Schade.
Na gut, aber es gibt ja noch die Homeschooler. Nur sind die leider fast ebenso schwer zu finden. Und damit habe ich echt nicht gerechnet. Ich nahm an, die wären gerade zu den Zeiten, wo alle anderen in der Schule sind, unterwegs, auf Spielplätzen und an anderen interessanten Orten, die man sich dann ja nicht mit all den Schulkindern teilen muss. Aber anscheinend müssen die armen Kinder zu den Zeiten, wo die anderen in der Schule sind, ebenfalls ihr Schulprogramm abarbeiten, nur eben zuhause. (Unter Homeschooling verstehe ich offensichtlich etwas anderes oder möchte es gerne anders organisieren als die meisten hier, dazu aber mehr im nächsten Homeschooling-Beitrag.) Und Verabredungen finden meistens auch in Parks und auf Spielplätzen statt, bis man sich mal zuhause trifft, um einfach nur zu spielen, dauert es. Wir lernen nun endlich Homeschooler-Familien kennen, und bei Einigen stimmt auch die Chemie sowohl zwischen Kindern als auch den Mamas, aber die Zeit bis hierher war kräftezehrend.
Austin als Wohnort auszuwählen, bereue ich mittlerweile. Ich mag die Stadt, sie hat Einiges zu bieten, viele Parks und Grünanlagen, tolle Angebote für Kinder und Familien in Bibliotheken, Geschäften und Institutionen. Aber für unser Auslandsabenteuer wünsche ich mir etwas, das sich mehr von unserem Leben zu Hause unterscheidet. Mehr nach dem typischen Auswanderermotto: Leben, wo Andere Urlaub machen. Leider liegt Austin nicht am Meer. Und so planen wir bereits den nächsten Umzug. Es bleibt also spannend.