First day of school. Was habe ich ihn herbeigesehnt. Am 19. August haben wir endlich mit der “Schule” angefangen. Wobei wir ja eigentlich schon länger immer wieder mal was gemacht haben. Ich hatte sowohl für Mathe als auch für Deutsch ein Arbeitsheft, einen Vorkurs zur Schule, schon aus Deutschland mitgebracht. Darin konnte Joshua immer mal wieder Schwungübungen machen, Muster malen, Zahlen, oder Mengenbilder zuordnen… naja, was man eben in der Vorschulzeit so macht, bzw. was in unserem Kindergarten gemacht wird. Für Englisch hatte ich etwas Ähnliches im Dollar Store entdeckt. Außerdem hatte ich eine Montessori App für Geographie auf dem IPad, mit der Joshua total gerne gelernt hat.

Aber nun geht es dann halt so richtig los, eben echte Schule. Und der “Einschulungstag” war auch toll, wir haben das – wie in Deutschland üblich – am Samstag gemacht, damit Richard dabei sein kann und wir Zeit haben, den Schulstart zu feiern. Ich hatte den Jungs jeweils eine Schultüte gebastelt, wir haben Fotos gemacht, Joshua und ich haben eine kleine Einführung gemacht (also besprochen, was ihn in den nächsten Tagen, Wochen, Monaten erwartet) und es gab Kuchen und Pommes auf Wunsch des Schulkindes. Eigentlich wollte ich erst später mit der Schule beginnen, da wir umzugsbedingt einfach noch nicht alles ausgepackt haben und nicht fertig eingerichtet sind (die Suche nach einer Lehrersoftware hat mich auch einige Tage und noch mehr Nerven gekostet, und das kurz vor Schulbeginn). Aber ich habe es einfach nicht mehr ausgehalten, dieses Herumsitzen, sich langweilen – ich wollte, dass meine Kinder halbtags beschäftigt sind, dann wird die Nachmittagsspielzeit auch nicht zu lang. Also ran an den Speck.

Tja, und dann kam der Montag. Und irgendwie kamen wir – obwohl doch jetzt Schulzeit war – nicht früher aus unseren Schlafanzügen raus und es war ganz schön schwer, die Kids an den Schreibtisch zu kriegen. dabei war es ja gar nicht viel,  was ich vorbereitet hatte. Aber Joshua hatte keine Lust und das machte er auch ziemlich deutlich. Benji funkte auch ständig dazwischen, und so brachten wir mit Ach und Krach etwas Schreibübungen zustande. Und ich will jetzt gar nicht in die Details gehen, aber so ging das weiter. Ich war der festen Überzeugung, Joshua müsse ja zuerst Ziffern richtig schreiben können, bevor er damit rechnet und schreiben lernen bedeutet ja nun mal auch schreiben. Aber davon tut einem doch so die Hand weh, still sitzen ist im Grunde schon Aufgabe genug und überhaupt – diese Rollenerweiterung von Mama auf Lehrerin, die klappt nicht. Die erste Woche war eine Katastrophe. Also plante ich die nächste Woche anders. Zugang zu Zahlen und Buchstaben über ein Buch (Die kleine Raupe Nimmersatt). Storytime mit verschiedenen Bastel-, Schreib- und Malübungen, sogar Mahlzeiten und Snacks habe ich entsprechend geplant. Da ich das Buch tatsächlich noch nicht hatte, habe ich es hier gekauft, also schlagen wir sämtliche Unterrichtsfliegen mit einer Klappe, Englisch, Deutsch, Mathe, Kunst, Sachunterricht… alles würde die Raupe abdecken. Super! So würde es Joshua sicher mehr Freude bereiten zu lernen, da es ja eher nebenbei passiert.

Naja, ihr ahnt es vielleicht – Pustekuchen! Das hatte ich mir ja schön gedacht. In der Schule würde das sicher ganz gut funktionieren, mein Sohn allerdings hatte weder Lust das Buch zu lesen noch sich mit irgendwelchen Aufgaben dazu zu beschäftigen. Wir sind eben zuhause, nicht im Klassenraum und er sitzt hier alleine mit seiner Mutter und seinem kleinen Bruder, nicht in der Gruppe Gleichaltriger vor einer Lehrerin.
Also kam nur immer wieder ein bestimmtes: “Nein! Mache ich nicht!” Und das war dann einfach zu viel für mich. Der berühmte Tropfen, der das Fass (sprich: mich, auch wenn mir der Vergleich mit einem Fass nicht so gut gefällt…) zum Überlaufen brachte. Und zwar im absolut wörtlichen Sinn, ich lief über: Worte (leider viel zu laut) und Tränen brachen aus mir heraus und das den ganzen Tag lang. Ich wusste mir überhaupt nicht mehr zu helfen, war nur froh, das Richard zuhause geblieben war (hat der Mann den sechsten Sinn?) und mir die Kinder wenigstens etwas abnehmen konnte. Ich brauche wohl nicht extra zu sagen, dass Schule an diesem Tag kein Thema mehr war, oder?

Das konnte so ja nun nicht weitergehen. Ich hatte das Gefühl, ich bin total ausgebrannt. Und als ich da nun an unserer Küchentheke saß und vor mich hin jammerte, fiel mein Blick auf eine Bastelarbeit, die Joshua am Tag zuvor in der Gemeinde gemacht hatte, mit einem Bibelvers aus 1. Samuel 17, 47: The battle is the Lord’s! Umrahmt von: God is on your side! Stop and pray! Go for it! God will help you! Just call on him for help! Was sagt man dazu? Ich sagte gar nichts, ich fing schon wieder an zu weinen. Gott hatte mich an diesem Tag nämlich schon mal angesprochen. Im Radio, auf dem Weg zum Einkaufen, direkt nach dem Ausraster. Ich schaltete von unserem eigentlichen Lieblingssender um und landete direkt bei einem christlichen Sender. Das erste, was ich hörte, war: And you think you can’t go on anymore. Eigentlich ging es in dem Lied um eine Beziehung, merkte ich später, trotzdem blieb der Tenor: Wenn du nicht mehr kannst, vertrau auf Gott, er kann dir helfen. Und nun das! The battle is the Lord’s!

Das hab ich mir zu Herzen genommen und meine Bibel App aufgemacht, weil diese Bibellesepläne bereithält, also Bibelstellen mit kurzen Andachten zu bestimmten Themen. Hier fand ich es jetzt nicht mehr überraschend, dass der erste Leseplan, der mir vorgestellt wurde, hieß: Fühlst du dich überfordert? So habe ich meinen Dienstag begonnen, mit Andacht und Gebet. Ich hab den Kampf mit Joshua abgegeben. Oder zumindest um Unterstützung gebeten. Und es ging besser. Wir haben sogar etwas Deutsch geschafft, während Benji mittags schlief. Mittwoch baute mich auch weiter auf, denn wir hatten Termine außer Haus, was (in stressigen Zeiten) eigentlich immer gut ist. Storytime in der Bücherei und anschließend Meet and Greet bei den Homeschoolers of Pinellas. Dort wurden Co-Ops vorgestellt, von denen wir ab dem 20. September zwei oder drei besuchen werden. So hat Joshua andere Kinder, mit denen er gemeinsam lernen kann und auch andere ‘Lehrer’ als mich. Donnerstag schafften wir wieder etwas Deutschunterricht, waren beim Karate (hier darf er Respekt, Selbst-Disziplin, Verteidigung und vieles mehr lernen und Spaß dabei haben!!!) und später hatten wir sogar noch Lust auf Mathe! Und dann kam der Freitag! Ich freute mich auf MOPS (Mothers of Preschoolers), also eine Art Kinder- und Mamatreff in unserer Gemeinde mit Frühstück, Gesprächen unter Erwachsenen (wenn auch über Kinderkram) usw. Die Sache hatte nur einen Haken: Die Kinder sollten professionell betreut werden, damit die Mamas einem Vortrag lauschen können und Zeit für Gespräche untereinander haben. Sowas machen meine Kinder aber leider nicht mit. Benji hätte es vielleicht versucht, das haben wir noch nicht ausprobiert, aber Joshua weigert sich kategorisch, alleine in der Kinderbetreuung zu bleiben. Ich konnte ihn nicht davon überzeugen, es zu versuchen und wollte als Mutter eines der älteren Kinder (denn Preschooler sind so 2-4 Jahre alt) keine Szene veranstalten, also machten wir uns wieder auf den Heimweg. Und sofort war sie wieder da, die Mischung aus Wut, Verzweiflung und Hilflosigkeit. Ich fand es so ungerecht, dass ich schon wieder zurückstecken musste. Die Kinder hatten einen recht schönen Tag miteinander, ich dagegen war schrecklich frustriert und ließ sie das auch merken. Ich fand mich selbst furchtbar, konnte aber einfach nicht aus meiner Haut. Doch nachdem ich mich den Tag über im Selbstmitleid gebadet hatte, fing ich endlich an, umzudenken.

Ich fragte mich, wieso mich dieser Morgen erneut so aus der Bahn werfen konnte. Ich kenne doch meine Kinder und weiß genau, dass sie mir nicht von der Seite weichen. Und dass das erste Jahr (nicht nur die erste Woche) des Homeschooling das härteste sein wird, war mir nach meiner Lektüre diverser Blogs und Bücher auch klar. Da kommt also noch einiges auf mich zu. Warum übe ich eigentlich solchen Druck auf Joshua aus? Muss er wirklich jetzt, parallel zu seinen deutschen Freunden lesen und schreiben lernen? Oder muss er unbedingt gegenüber den Gleichaltrigen Amerikanern aufholen, die das ja bereits im Vorschuljahr erledigen? Nein, das muss er nicht! Ich erinnerte mich wieder daran, dass ich mir gerade erst vor vier Wochen im Gespräch mit einer anderen Homeschool Mama vorgenommen hatte, im Hier und Jetzt zu leben und nicht zu versuchen unseren Homeschool Alltag so zu organisieren, dass Joshua später keine Nachteile davon hat, denn ich weiß doch gar nicht, wann und wo dieses später eigentlich sein wird. Und damit sind wir beim Kernproblem. Ich lebe hier im ständigen Dazwischen und das bereits seit wir im letzten Oktober in den USA gelandet sind. Ich bin hier nicht angekommen, offiziell – denn meine Social Security Number lässt auf sich warten, dadurch kann ich z.B. keinen Führerschein machen und keine Rabatt- oder Punktesammelkarte beim Einkaufen beantragen. Und auch emotional hänge ich in der Luft – “You can take the girl out of Germany, but you can’t take the German out of the girl”, you know? Ich sitze eben ständig dazwischen, zwischen bleiben und gehen, zwischen Sonne und Regen, zwischen Freilernen und Regelschule, zwischen Stay-at-home- und Working-Mum. Das, plus der Umzug von Texas nach Florida, das 4-monatige Nomadenleben und der Heimaturlaub erklären wohl mein dünnes Nervenkostüm. Mein größtes Problem sitzt tief in mir selbst. Ich stelle hohe Erwartungen an mich selber und empfinde Abweichungen davon als persönliches Versagen. Und davor habe ich schreckliche Angst. Ich müsste mir und euch eingestehen, dass das Bild der selbstsicheren, starken Frau, als die ich mich so gerne sehe, nicht ganz der Wirklichkeit entspricht. Dass ich schwach bin, und nicht weiß, wie es weitergeht. Tja, aber dieses Wochenende gestand ich mir endlich zu, dass das auch in Ordnung ist.
Ich habe dieses Wochenende eines anders gemacht als in den letzten Monaten: Ich habe mehr Musik gehört. Die Bibeltexte und Gedanken in den Andachten haben Lieder in meiner Seele geweckt und ich habe sie endlich mal wieder gehört und z.T. geheult wie ein Schlosshund. Aber diesmal nicht vor Verzweiflung, sondern vor Freude und Dankbarkeit, weil sie mich so tief berühren, wie das eben nur Musik kann. Ein Lied davon ist Lebe wohl von Beate Ling. So treffend und wohltuend, dass ich euch hier den Text der ersten Strophe aufschreibe:

Schon lang gelaufen, nie angekommen, Beine werden müde mit der Zeit.
Zu schwere Lasten, allein getragen, der Weg nach Hause scheint so weit.
Bevor du rufen kannst, will ich dich hörn und dir entgegen gehn mit offnen Armen
Dir ist geholfen, dir ist vergeben. Ich bürge dafür und nun lebe, lebe wohl.

Und das habe ich nun vor. Wohl leben. Ich will hier endlich ankommen. Ich will keine Schule “machen”. Ich will warten, bis Joshua mich etwas fragt, und dann sehen, wohin uns das führt. Ich weiß, das er lesen und schreiben können möchte und bin gespannt, wann er bereit dazu ist, sich damit wirklich auseinanderzusetzen. Ich will wieder Freude daran haben, mit meinen Kindern zu spielen, ohne zu drängeln, weil noch dies oder jenes geschafft werden muss. Und wenn unsere Schule weiterhin (wie ja bereits in Austin) vor allem aus Erkundungsausflügen in Museen, Natur und Büchereien besteht, dann ist das gut und in Ordnung so. Und wenn ich demnächst beschließe, dass es doch in eine andere Richtung gehen soll, dann wird auch das gut sein. Denn:

Alles wandelt sich. Neu beginnen
Kannst du mit dem letzten Atemzug.
Aber was geschehen, ist geschehen. Und das Wasser
Das du in den Wein gossest, kannst du
Nicht mehr herausschütten.

Was geschehen, ist geschehen. Das Wasser
Das du in den Wein gossest, kannst du
Nicht mehr herausschütten, aber
Alles wandelt sich. Neu beginnen
Kannst du mit dem letzten Atemzug.

BERTHOLT BRECHT

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