In Florida ist von Juni bis November storm season. Das bedeutet, dass jederzeit damit gerechnet werden muss, dass sich über dem Atlantik oder dem Golf von Mexiko Stürme zusammenbrauen, die dann unterschiedlich stark über das Land herfallen. Pünktlich zu Beginn der Saison wird daran erinnert, sich vorzubereiten und in den Läden sind Dinge, die man für ein Notfallpaket brauchen kann,  wie z.B. Batterien, besonders günstig.

Als wir hierher kamen, hatte ich mir fest vorgenommen, eine Notfalltasche zu packen, mit unseren wichtigen Papieren, etwas Wechselwäsche usw. damit wir im Ernstfall nicht erst alles zusammensuchen müssten. Allerdings hatten wir anfangs durch unser Nomadenleben sowieso alles, was wir brauchten, in Koffern und Taschen schnell zusammengepackt und im Auto verstaut, also war eine Notfalltasche noch nicht nötig. Und seit wir in unserem Haus eingezogen sind, haben wir mit Kisten auspacken, Kinder beschäftigen und die Nachbarschaft kennen lernen genug zu tun, so dass auch hier die Sturmvorbereitung in den Hintergrund geriet.

Und dann kam Irma. Eine Woche bevor es ernst wurde, begannen wir, die Garage frei zu räumen, damit unsere Autos auch hinein passen würden, und wir fotografierten unsere Habseligkeiten, um später zu wissen, welche Dinge uns die Versicherung ersetzen sollte. Eine Tasche packten wir nicht, denn sollte Irma tatsächlich Kurs auf die Westküste nehmen, wollten wir sowieso von hier verschwinden.

Anfangs glaubte ich noch nicht daran, dass wir wirklich von Irma betroffen sein würden. Die Vorhersagen gingen eher Richtung Ostküste, doch bald schon wurde mir klar, dass der Kurs bei der Größe des Sturms eigentlich egal war – da Florida so schmal ist, würden wir in jedem Fall etwas von Irma haben. Die Medien stürzten sich mit Freude auf dieses Monster, überall lief der Weather Channel und schürte die Panik vor dem – zugegebenermaßen furchtbaren – Sturm. Ich konnte es schon gar nicht mehr sehen, und dabei schauen wir zuhause gar kein amerikanisches Fernsehen. Für mich stand fest, dass ich Florida verlassen wollte, denn selbst wenn es nur ein sehr ungemütliches Wochenende mit Dauerregen und einigen Stunden in einem sicheren Kabuff unseres Hauses bedeuten würde, hatte ich darauf schlicht keine Lust. Und die Aussicht, eventuell für – wer weiß wie lange – keinen Strom zu haben gefiel mir auch nicht. Nun änderten sich die Vorhersagen und es hieß, dass wir mit einem direct hit rechnen müssen. Als dann auch noch der Run auf die Läden und Tankstellen begann, war klar, dass wir hier nicht bleiben wollten. Oder sogar nicht bleiben konnten. Denn so wie es in den Supermärkten aussah, würden wir gar nicht ausreichend Lebensmittel bekommen, um zu Hause auszuharren. Die Leute verhielten sich wirklich schräg. Es gab kaum noch Wasser, Brot, Lebensmittel in Dosen etc. und entweder hatten die Tankstellen schon kein Benzin mehr oder die Autos standen meilenweit Schlange und blockierten entsprechend die Straßen. Dabei kam es auch zu Streitereien, weshalb nun viele “zur Sicherheit” wieder Waffen mit sich führten. Für uns als Deutsche eine völlig unverständliche Reaktion auf die Situation und ein wenig beängstigend. Der erwartete landfall (also der Moment, indem der Sturm auf Land trifft) war außerdem noch 5 Tage entfernt.

Nun war nur noch die Frage, wann wir fahren konnten, also, ab wann Richard sich frei nehmen konnte und für wie lange. Auch wohin wir fliehen wollten, war noch nicht klar. Austin in Texas war im Gespräch, ich konnte mir aber auch vorstellen, nach Tennessee zu fahren und dort ein paar Tage Urlaub zu machen. Reisen möchten wir sowieso, also warum nicht die Gelegenheit nutzen? Allerdings war schnell klar, dass der Großteil der Floridians, die fahren wollten, Richtung Georgia, Alabama und Tennessee fahren würde, also müssten wir mit Verkehrsstau auf der gesamten Strecke rechnen und es wäre schwer, freie Hotels zu finden. Ich machte mir auch Sorgen, ob wir genug Benzin haben würden. Mein absoluter Alptraum wäre es, irgendwo in Florida liegen zu bleiben, weil wir keine Tankstelle finden, die noch Benzin hat. Also doch fliegen? Tampa hatte keine freien Flüge mehr. Aber aus Orlando hätten wir für Samstag noch Flüge bekommen. Würde der Flughafen da eventuell geschlossen sein? Fragen über Fragen…

Gefahren sind wir dann am Donnerstag, 07.09. spätnachmittags, als Richard von der Arbeit kam, Richtung Austin, Texas. Und als wir gerade mal eine Stunde unterwegs waren, wurde die erste Evakuierungsmaßnahme für Freitag beschlossen. Also – alles richtig gemacht. Pinellas County rechnete mit dem Schlimmsten, und da wollten wir nicht dabei sein.

Die Fahrt aus Florida raus haben wir am ersten Tag noch nicht geschafft. Zwar waren sämtliche Mautgebühren auf entsprechende Straßen aufgehoben, wodurch wir einen Teil der Strecke auf fast leeren Straßen zurücklegen konnten, letztlich mussten wir uns dann aber in die Massen auf der Bundesstraße einreihen. Besonders zeitraubend und (deshalb) ärgerlich war eine nicht abgestellte Ampel, die – gemeinsam mit einer Tankstelle (direkt an dieser Ampel) – dafür sorgte, dass wir über zwei Stunden für eine 20 Minuten Strecke brauchten… Und immer wieder ging der Blick zwischen Tankanzeige und den Tankstellen hin und her. Tüten über den Zapfhähnen hieß weiterfahren, denn dort war nichts mehr zu holen. Um  Mitternacht hatten wir es bis Tallahassee geschafft (der Hauptstadt von Florida), mit den letzten Tropfen aus dem Tank rollten wir an eine Tankstelle, an der es noch Benzin gab. Da war die Erleichterung groß! 3 Stunden später suchten wir uns müde ein Motel und fielen ins Bett. Doch obwohl ich völlig erledigt gewesen war, gelang es mir erst nach einer ganzen Weile einzuschlafen, zu sehr hatte mich das ganze Sturmthema in den letzten Tagen beschäftigt. Und es blieb ja noch die Sorge um unser Haus und all die Dinge, die wir dort zurückgelassen hatten. Übrigens quasi alles, außer Klamotten und unseren Papieren hatten wir nichts dabei.

Den zweiten Tag verbrachten wir fast ausschließlich im Auto, nur ein paar Futter- und Bewegungspausen mussten sein und nachts um 1 fuhren wir in die Einfahrt des Hauses von Mark und Diane, hier hatten wir bereits zu Beginn unsere Austinzeit gewohnt. So richtig entspannen konnten wir uns am Samstag allerdings noch nicht. Zu sehr war der Sturm in den Medien präsent und prägte die Stimmung. Sonntag gelang es uns mit dem Besuch einer befreundeten Familie recht gut, uns abzulenken, dennoch schlief ich unruhig. Und Montag morgen war dann alles schon irgendwie vorbei. Also, Irma war bereits weitergezogen, wir wussten, dass der Sturm schon weit heruntergestuft worden war, als er Tampa erreichte und von unseren Nachbarn hatten wir erfahren, dass der Strom weg war. Später erfuhren wir auch, dass unser Haus wohl unbeschädigt geblieben war. Puh!

Nun kam der angenehme Teil dieser Reise, die wir Irmavacation nennen. Wir hatten eine richtig tolle Woche mit viel Sonne und lieben Menschen, besuchten Orte, die wir noch nicht kannten und hofften, dass zuhause wirklich alles in Ordnung sein würde. Leider hat Joshua sich als Andenken an einen Ausflug einen üblen Ausschlag von Giftefeu geholt, aber sonst hatten wir viel Freude.

Die Rückfahrt war dann nochmal ziemlich anstrengend. Aus zwei Tagen wurden drei, weil das Auto Probleme machte. In der Nacht, kurz vor Pensacola (unserem nächtlichen Zwischenstopp) begann das Auto beim Gas geben und der Motorbremse heftig zu vibrieren. Also haben wir es lieber in die Werkstatt gebracht und konnten erst mittags losfahren. Allerdings tauchte das gleiche Problem nach 3 Stunden Fahrt wieder auf und so hielten wir in Tallahassee wieder an. Nach mehreren Stunden in der Werkstatt und einigen ausgetauschten Teilen bestand das Problem immer noch. Deshalb nahmen die Schrauber in der Werkstatt unser Geld auch nicht an, außer den Teilen haben wir hier nichts bezahlt. Stattdessen wurden wir während unseres Aufenthaltes dort mit Spielzeug, Getränken und später sogar Sandwiches versorgt (vegetarisch für mich!). Es gibt sie also doch da draußen, die richtig guten Menschen. Das wäre von nun an definitiv unsere Stammwerkstatt, wenn wir nicht 4 Stunden entfernt leben würden…

Naja, da wir also nicht wussten, was nun mit dem Auto ist und es nicht erstrebenswert fanden, eventuell bei Nacht an Floridas Sümpfen zu stranden, schliefen wir eine weitere Nacht in einem Hotel und fuhren erst Sonntag das letzte Stück. (Mittlerweile haben wir neue Reifen und sind aber immer noch nicht schlauer, ab einer bestimmten Geschwindigkeit fängt weiterhin alles zu wackeln an…)

Zurück in unserer Nachbarschaft haben wir uns Sturmschäden angesehen. In unserem Garten ist nur ein Teil des Zaunes umgestürzt, aber einige Nachbarn hat es härter getroffen. Ein Baum ist in ein Haus gestürzt, das Dach ist bis heute immer noch nicht repariert, es fehlt ein großes Stück. Glücklicherweise war der Bewohner gerade auf dem Klo als der Baum nachts in sein Schlafzimmer fiel. Ein umgestürzter Baum sorgte auch dafür, dass unsere Stromleitung gekappt war, es dauerte 6 Tage, bis wieder Strom floss. Besonders gemein für unsere Nachbarn war, dass die gegenüberliegende Straßenseite nicht vom Stromausfall betroffen war, sie konnten so zwar ihre Telefone mal aufladen, hatten aber auch ständig deren funktionierende Klimaanlagen vor Augen und Ohren, während sie selbst schwitzen mussten.

Rückblickend bin ich froh, dass wir nicht hier waren, ärgere mich aber auch über die Panikmache in den Medien. Da Irma der erste wirklich schwere Sturm der Saison war (in Florida; Harvey hatte ja erst kurz vorher in Texas und Louisiana gewütet), wurde tatsächlich rund um die Uhr darüber berichtet, jede noch so kleine eventuelle Änderung der Kursrichtung wurde ausgiebig diskutiert und analysiert und so war es richtig schwierig bis fast unmöglich, der aufkommenden Panik zu entgehen. Damit möchte ich den Sturm überhaupt nicht klein reden, Irma hat furchtbare, zerstörerische Kräfte entfaltet und viele Menschen ihrer Existenzgrundlage beraubt.(Eine für mich besonders eindrucksvolle Darstellung der Kraft eines solchen Hurrikans waren leere Strände an Floridas Westküste, Stunden, bevor der Sturm ankam. Auch aus der Tampa Bay wurde das Wasser herausgezogen, Menschen gingen spazieren, wo sonst alles überflutet ist. Das muss so ähnlich sein wie bei einem Tsunami, später kam das Wasser auch hier mit voller Kraft zurück und überflutete viele Gebiete.) Aber diese Panik wäre nicht nötig gewesen. Es hätte gereicht, zu den normalen Nachrichtenzeiten zu informieren und auch zu warnen. Aber darin sind die Amis wirklich gut, ordentlich Staub aufwirbeln. Laut Richards Arbeitskollegen ist das jedes Jahr aufs Neue so beim ersten Hurrikan des Jahres. Dass bereits nach zwei Wochen wieder ein Hurrikan (Maria) und eine weitere Woche später noch einmal (Nate) mit ähnlichem Kurs im Anmarsch waren, war so wenig zu merken, dass ich es ohne unsere Sturm App wahrscheinlich erst durch Berichterstattung im Nachhinein oder durchs Heute Journal erfahren hätte.

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